- Andrea: Direktorin an einer NMS
- Petra: (Standes)beamtin in einer kleinen Gemeinde
- Sabine: Angestellte & Betriebsrätin in einem internationalem Unternehmen
- Mirjam: Nach einigen Stationen in der Wirtschaft seit kurzem Kinderbetreuerin in einem Kindergarten.
Nach einer kurzen gegenseitigen Begrüßung und ein paar einleitenden Worten geht es los.
Wie würdet ihr für euch "Gleichberechtigung" definieren?
Mirjam: Gleiche Bezahlung für denselben Job; ist mir jetzt als erstes eingefallen.
Sabine: Der Equal-Pay-Day war ja gerade diese Woche.
Andrea: Gleiche Chancen in der Ausbildung.
Sabine: Gleichberechtigung ist für mich auch, dass eine Frau in einem technischen Beruf tätig sein kann ohne das es zu Ansichten ala "Sie ist Automechanikerin obwohl sie eine Frau ist" führt; es sollte nicht als etwas "Besonderes" gesehen werden sondern einfach, als ein Beruf dem eine Frau nachgeht.
Petra: Für mich gehört auch die Gleichgewichtung der Meinung dazu.
Im Vergleich zu der Zeit, als ihr ins Berufsleben gestartet seid. Würdet ihr sagen, dass ihr heutzutage im Beruf aus fachlicher Sicht "ernster" genommen werdet?
Petra: Bei mir ist es so, dass ich durch die Berufsjahre mehr Erfahrung erlangt habe, dadurch sicherer geworden bin und vielleicht dadurch mehr gefragt bin. Ich würde das aber nicht auf einen Geschlechterunterschied sondern auf die gesteigerte Berufserfahrung zurückführen.
Andrea: Ich kann dem nur zustimmen. Durch Erfahrung und zusätzliche Ausbildungen hat man im Beruf an Sicherheit gewonnen und wird dadurch auch ernster genommen.
Habt ihr subjektiv das Gefühl, dass ihr heute "gleichberechtigter" seid als früher oder hat sich eurer Meinung nach in der Gesellschaft in der Praxis nichts verändert sondern nur auf dem Papier?
Andrea: Der Fluch der Gleichberechtigung ist, dass ich zwar alles machen kann als Frau aber trotzdem eine Mehrbelastung durch Familie und Haushalt habe weil die Gleichberechtigung zu Hause oft nicht im selben Ausmaß realisiert wird.
Sabine: Ich möchte da noch etwas hinzufügen. Wir haben inzwischen alle die Möglichkeit Karriere zu machen und jeden Beruf zu ergreifen, aber Frauen die sich für den "Beruf" der Hausfrau entscheiden und dafür einfach "nur Mama zu sein" werden in diesen Debatten häufig ziemlich mies dargestellt was für mich nicht in Ordnung ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen die einfach nur Mama sein wollen in der Gesellschaft ziemlich ausgegrenzt werden. Die öffentliche Meinung ist, dass du als Frau - jetzt wo du die Möglichkeit dazu hast - auch beruflich Karriere machen musst! Auch wenn das zu einer Mehrfachbelastung führt. Und wenn du dich dagegen entscheidest, bist du schon fast nicht mehr Teil der Gesellschaft.
Mirjam: Und dann hört man Sätze wie "Du bist ja nur zu Hause".
Sabine: Genau, und das ist für mich definitiv ein negativer Aspekt in der ganzen Diskussion. Weil auch eine Frau die sich dazu entscheidet zu Hause zu bleiben, hat eine Karriere gewählt.
Mirjam: Ich sehe das auch so, auch wenn ich noch keine Kinder habe. Aber ich habe, das schon von meiner Mama so erzählt bekommen, dass es auch schon zu ihrer Zeit so war, dass es nicht als gleich wertvoll angesehen wurde, wenn eine Frau sich dafür entschieden hat ihre Zeit den eigenen Kindern zu widmen anstatt beruflich/finanziell Karriere zu machen.
Andrea: Ich glaube Frauen würden sich auch generell häufiger dazu entscheiden länger bei den Kindern zu bleiben, wenn diese Zeit "bezahlt" wäre. Wenn diese Familienzeit der Gesellschaft etwas wert wäre. Weil wenn sie sich dagegen entscheidet (egal ob Alleinerziehend oder aus anderen Gründen), können sich viele Familien inzwischen das Leben mit nur einem Einkommen fast nicht leisten. Und das empfinde ich als generell unfair! Ich weiß aus Erfahrung welche Bedeutung diese Familien- und Erziehungsarbeit hat, aber wie schon gesagt "nur Mama sein" ist in der Gesellschaft negativ behaftet und hat langfristig zu Folge, dass du als Frau in der Karriere zurückfällst. Auch weil dir in dem Zeitraum nicht nur kein Gehalt gezahlt wird, dir fehlen anschließend auch die entsprechenden Jahre für die Pension usw. und das alles kombiniert führt auf Dauer zu einer massiven Benachteiligung.
Es geht ja hier heute nicht nur um Gleichberechtigung sondern auch ums Gendern; wie hoch schätzt ihr den Wert der ganzen Gender-Debatte im Hinblick auf Gleichberechtigung in der Praxis ein?
Sabine: Ich kenne zwei Welten, zum einen meine Berufswelt in der ich viel international zu tun habe und da ist Gendern überhaupt kein Thema. Kommunikation beginnt noch immer mit "Sehr geehrter Herr" oder "Sehr geehrte Frau" und dieses Gendern, das man über die Medien kennt, wird überhaupt nicht praktiziert. Die zweite Welt kenne ich über meine Tochter die gerade maturiert hat und da wird das Gendern ja geliebt. Und wenn du da in einem Satz schon 20 genderbegriffe hast, ist dass die andere Seite. Ich kenne das Gendern also nur vom Rande her und bin davon persönlich nicht wirklich betroffen weshalb ich den Wert für die Gleichberechtigung nicht beurteilen kann. Was mir aber schon wichtig ist, dass man zum Beispiel in einem Meeting oder bei einer Präsentation mit "Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen" begrüßt wird. Das ist für mich ein Zeichen der Wertschätzung und das finde ich schön. Aber abgesehen davon glaube ich, dass die anderen mit dem Thema viel stärker befasst sind.
Andrea: So wie du sagst, man spricht in Meetings Kollegen und Kolleginnen separat an. Ich mache das persönlich auch sehr bewusst weil es mir auch selbst sehr wichtig ist. Aber abgesehen davon war es das auch bei mir schon. Also das ganze Gendern bei den Titeln, Binnen-I, usw. versuche ich auch selbst zu vermeiden.
Weil ihr hier gerade nur die Begrüßung erwähnt habt. Wenn ihr eine Präsentation haltet, beschränkt ihr euch dabei auf die Begrüßung oder zieht ihr das mit dem Gendern dann auch durch?
Andrea: Also ich behalte es dann über die gesamte Präsentation bei, dass ich die Anwesenden immer separat anspreche.
Sabine: Ja ich auch.
Petra: Ich denke, man versucht es auch ein Stück weit zu umschiffen - soweit es möglich ist. Wenn man nämlich anfängt "richtig" zu gendern - also auch mit Artikeln usw. - dann wird das anstrengend und die schöne deutsche Sprache wird sperrig. Also speziell komplexe Sätze versuche ich so zu formulieren, dass ein Gendern gar nicht erst nötig ist. Und zu dem was Sabine gesagt hat: In Briefen oder E-Mails gendere ich eigentlich auch nicht. Maximal bei öffentlichen Reden zum Beispiel bei einer Trauung, aber auch da versuche ich es zu umgehen, damit die Ansprache nicht an Geschmeidigkeit verliert. Auch glaube ich, dass es für Studentinnen und Studenten, die an der FH oder Uni sind eine zusätzliche Herausforderung ist, das alles richtig zu machen. Aber die Sprache wird dadurch sicher nicht schöner.
Mirjam: Also ich sehe das total gleich. Die Wertschätzung ist schon wichtig. Aber ich bin auch etwas geschädigt von dem ganzen weil man es auch übertreiben kann. Ich hatte zum Beispiel einmal eine Kollegin der war das ganze Gendern wirklich extremst wichtig. Sie war sehr nett, aber Sätze wie "Wir müssen die Manpower auf den Boden bringen" wurde zu "Wir müssen die Womenpower auf den Boden bringen" und anstatt "Man macht das so.... " wurde "Frau macht das so....", es war also schon sehr heftig. Vor allem verstehe ich es ja ohne Gendern deshalb nicht anders oder so als wäre die Arbeit der Frauen minderwertig. Man kann es also schon sehr übertreiben. Ich hatte ja zu meiner Zeit bei der Masterarbeit noch das Glück, dass ich die Seite einfügen durfte "Sämtliche geschlechterspezifischen Formulierungen sind für Mann und Frau gedacht ...", inzwischen ist das ja glaube ich nicht mehr erlaubt und ich bin heute noch froh darüber, dass ich diese Seite noch verwenden durfte. Wo ich Gendern schon gut finde ist z.B. bei Stellenausschreibungen, da gefällt mir das. Aber wenn ich zum Beispiel mit einer Person zu tun habe die nicht gendert, dann würde ich mich dadurch nie persönlich angegriffen fühlen, speziell wenn ich weiß, dass die Person das nicht böse meint sondern einfach kein Freund vom Gendern ist oder darauf vergisst. Deshalb hab ich englische Präsentationen am liebsten, da gibt es das Problem nicht.
Sabine: Was mir noch dazu einfällt, wir haben in unserer Firma in den Autosignaturen die Pronomen dabei, weil man z.B. bei indischen Kollegen oft schwer sagen kann ob es sich dabei um einen männlichen oder weiblichen Namen handelt. Da geht es dann einfach nur darum, zu wissen wie man die Person ansprechen soll und nicht um "Genderprinzipien".
Lassen wir jetzt mal den Beruf bewusst außen vor, wie steht ihr privat zum Gendern?
Mirjam: Also ich verwende es eigentlich überhaupt nicht, wenn dann nur unbewusst. Ich sage also zum Beispiel "Ich habe ein paar Freunde eingeladen" und nicht "Ich habe ein paar Freunde und Freundinnen eingeladen". Also die Mehrzahl, sofern es sich um eine gemischte Gruppe handelt, ist bei mir eigentlich immer männlich, vermutlich weil ich es so gewohnt bin.
Petra: Ich würde da vermutlich manchmal Freund*innen sagen mit einer kurzen Pause vor dem Innen. Das verwende ich durchaus manchmal.
Andrea: Im Beruf gendere ich durchaus weil es als professionell gilt, im privaten achte ich aber nicht so wirklich darauf obwohl ich schon sagen würde, dass es mir auch privat wichtig ist.
Nochmal kurz zurück zur Gleichberechtigung. Glaubt ihr, dass sich Gleichberechtigung per Gesetz herstellen/verordnen lässt?
Sabine: Das gibt es ja schon, also Ehepartner sind grundsätzlich dazu Verpflichtet 50:50 zu machen. Gelebt wird es vermutlich häufig nicht aber gesetzlich ist es so.
Petra: Also bei mir wird es auch gelebt, was vielleicht auch damit zu tun hat das Peter (Partner von Petra, anm.) jetzt in Pension ist und die Arbeitsteilung im Haushalt liegt jetzt vermutlich bei 70:30 oder 80:20 zu meinen Gunsten.
Sabine: Ja, ich muss auch zugeben das es bei uns zu Hause gelebt wird.
Petra: Zum Thema Gesetz: Es gibt den Artikel I der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ und es gibt auch ein Bundesverfassungsgesetzt, das festlegt, dass alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind. Also eine gesetzliche Gleichberechtigung gibt es schon.
Ihr würdet also eher sagen, es kommt darauf an wie es gelebt wird?
Petra: Genau.
Andrea: Es gibt natürlich noch Lücken. Also wenn sich eine Frau zum Beispiel für mehrere Kinder entscheidet, wären Gesetze wichtig welche die Rahmenbedingungen schaffen damit Frauen zum Beispiel die Kindererziehungszeit auch als Zeit für die Pension angerechnet bekommen oder nicht in anderer Art und Weise dadurch im Beruf benachteiligt werden. In dem Bereich können Gesetze also durchaus helfen. In vielen anderen Bereichen - vor allem zu Hause - kommt es aber eher darauf an ob die Gleichberechtigung auch gelebt wird, was vermutlich auch von der Generation abhängig ist.
Noch zwei kurze Fragen mit Bezug zur Kirche. Soweit ihr Einblick habt, sind wir beim Thema Gleichberechtigung in der evangelischen Kirche in Österreich auf einem guten Weg, schon fast am Ziel oder gibt es da noch viel zu tun?
Andrea: Es ist noch Luft nach oben, ich merke das bei den Superintendentialversammlungen bzw. bei bestimmten Ämtern, dass es da durchaus einen gewissen Männerüberhang gibt.
Petra: Ich glaube es ist aktuell auch so, dass es nur Superintendenten gibt und keine Frauen, die dieses Amt ausüben.
Sabine: Ich glaube es hat aber mal eine Superintendentin gegeben.
Zum Abschluss nochmal zum Thema Gendern. Wie steht ihr zum Gendern in der Predigt?
Andrea: Ich schätze es schon wen gegendert wird.
Mirjam: Ich sehe es so wie Petra es früher gesagt hat. Wenn die Sprache verloren geht und ich mich schon konzentrieren muss damit ich überhaupt den Sinn des Satzes verstehe dann geht das am Ziel vorbei weil es meiner Meinung nach wichtiger ist, dass die Botschaft der Predigt drüber kommt. Und bestimmte Sachen kann man bleiben lassen. Wenn zum Beispiel von den zwölf Jüngern die Rede ist, dann muss man daraus keine zwölf Jünger*innen machen, denn es waren ja Männer. Das Gendern sollte also nicht das Thema der Predigt überdecken und man sollte da schon aufpassen, dass man sich da nicht in etwas verrennt.
Andrea: Der Meinung bin ich auch. Wenn zum Beispiel Bibeltexte vorgelesen werden, dann sind das nun mal historische Texte und da finde ich es durchaus legitim, das Gendern bleiben zu lassen. Aber wenn dann zum Beispiel während der Predigt die Gemeinde angesprochen wird sollte man entweder neutrale Ausdrücke wie "liebe Gemeinde" verwenden oder Frauen und Männer durchaus getrennt ansprechen. Ich möchte also schon in meinem Geschlecht wahrgenommen werden.
Vielen Dank für das Gespräch!