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Einfach zum Nachdenken


10. Oktober 2024

Beobachtungen am Ende der fünften Einheit, evangelische Religion: Die Schülerinnen und Schüler verlassen die Klasse und wollen in die Garderobe. Ein Schüler drängelt schon vor der Klassentüre, obwohl Laufen verboten ist, reißt er beim Läuten die Türe auf und rennt los. Zwei weitere Buben verfolgen ihn. Die beiden Mädchen verlassen ganz langsam, wie die Anweisung der Lehrperson war, die Klasse. Der Schüler Paul ...

... schlüpft in seine blauen Sportschuhe, zieht eine Dino-Jacke an und schultert sich seinen Ninja-Rucksack. Mit seinem verkehrt herum aufgesetztem Baseballcap rast er zur Schultüre hinaus, verabschiedet hat er sich nicht. Im Gegensatz dazu zieht sich eine Schülerin ihre weißen glitzernden Sandalen an. Ihre rosarote Jacke passt farblich sehr gut zu ihrer Einhornschultasche. Sie gibt artig die Hand und verlässt das Schulhaus. Etwas nach den anderen kommen zwei, die in der Klasse noch ganz heftig miteinander diskutiert haben. Beide Kinder haben schulterlange Haare, eines davon trägt einen Haarreifen. Das Kind mit dem Haarreifen zieht dunkelgrüne Schuhe an, dass Kind ohne Haarreifen die rosaroten. […].

Die gesamte Beobachtung ist sprachlich korrekt, ohne der von einigen so kritisierten „Verstümmelung“ der Sprache „gegendert“. Durch das Verwechseln von Beobachten mit Bewerten werden den Kindern typische Verhaltensweisen und Geschlechter unterstellt. Von Gleichberechtigung ist nichts zu merken, eine klare Rollenverteilung. Bis auf die letzten beiden. Es sind Zwillinge, Andi und Alex. Wer ist hier weiblich, wer männlich? Oder sind beide von einem Geschlecht? Sie entsprechen auf Grund ihrer Geschichte nicht den zugeordneten Rollen, schauen sich sehr ähnlich und verwenden ihre Kleidung, wie es ihnen passt. Auch ansonsten entsprechen sie keinerlei Klischees. Sie sind auch nicht in einem falschen Körper, nur weil sie beide gerne Haarschmuck tragen und als Hobbys gemeinsam Eishockey und Ballet nennen.1

Bei einem Schulanfangsgottesdienst begrüßt die Direktorin die Kinder und bittet, die Schüler:innen der ersten Klasse aufzustehen. (Sie machte, wie die Computerstimme, die obligatorische Pause innerhalb des Wortes.) Es standen alle Mädchen auf. Als gute Pädagogin merkt sie es und bittet auch noch die Schüler aufzustehen.

Ein weiteres mögliches Ereignis: Schneesturm, kalter Winter, irgendwo am Land: In einem Haus ist der Strom ausgefallen. Die Bürokraft des Elektrounternehmens verspricht am Telefon, gleich jemanden vorbei zu senden. Gleichzeitig beginnen im selben Haus bei einer Schwangeren mit geplanter Hausgeburt die Wehen. Die Hebamme ist gerade bei einer anderen Geburt und verspricht, gleich jemanden vorbei zu senden.
Als es an der Haustüre klingelt, stehen zwei, gut in Jacken eingepackte, Personen vor der Tür. Eine zart, dünn, langhaarig, eine kräftig und bärtig. Wen wird wohl die Person, die die Haustüre öffnet zur Schwangeren schicken?
Handelt es sich hier um eine männliche Hebamme? (so ist der korrekte Bezeichnung lt. Hebammengesetz.)

Im Kleidergeschäft wird eine Frau darauf hingewiesen, sich in der verkehrten Abteilung zu befinden, weil sie sich mit „unweiblicher Figur“ Jeans in der Männerabteilung kaufen möchte.

In Mathematikschulbüchern kauft auch 2024 Frau Meier die Eier und Herr Bach repariert das Dach und neben dem Lastwagen steht ein dicker Mann mit Bart und blauer Hose.

Im Kindergarten stößt die Pädagogin auf Unverständnis im Kollegium, wenn sie es nicht in Ordnung findet, dass beim Zählen üben gefragt wird: „Wie viele Mädchen sitzen in der Puppenecke?“

Wie Vorurteilshaft sind folgende Begebenheiten? Ein Kind mit dunkler Hautfarbe besucht mit dem Kindergarten eine Führung zu einer Ausstellung betreffend Afrika. Die Führerin fragt dieses, ausschließlich dieses Kind: „Und woher kommst du“, und das Kind antwortet: „Aus da Kärntna Stroßn!“
Die Polizei wird zu einem Einbruch gerufen, die Putzfrau, eine Studentin im Nebenjob, kommt und meint auf Grund der Spurensicherung: Nichts Putzen? Woraufhin der Polizist sagt: „Du nix putzen, Dieb, böse, böse tut machen grabsch grabsch [...]

Jetzt könnte noch fortgesetzt werden mit Veganern, Vegetariern, Berufsgruppen, Gesellschaftsschichten und so weiter. Wo herrscht Gleichberechtigung?

Werden Geschlechterrollen, Mentalitäten und weitere Eigenschaften den Menschen nur zugeschrieben? Fühlt sich ein Mann anders als eine Frau oder beide anders als Menschen mit der Geschlechtsangabe divers? Fühlt sich ein Mensch aus Sizilien anders als einer aus Alaska? Sind wir durch unser Umfeld geprägt? Glauben wir immer schon zu wissen, was unser Gegenüber ist und was es braucht, was es denkt, was es fühlt, was es isst und was es zu tun hat? Wird mit gendergerechter Sprache noch mehr polarisiert und die genderqueeren Menschen ausgeschlossen? Ist verehrte Besucher:innen, verehrte BesucherInnen, verehrte Besucher*innen oder ähnliches weniger diskriminierend oder mehr geschlechtergerecht als Heinz Conrads: „Einen Handkuss den Damen, einen schönen guten Abend den Herrn und der Jugend, griaß eich die Madln, servas die Buam.“?

Werden unsere Vorurteile wirklich durch die Sprache verändert? Wie gehen Länder, die keine unterschiedlichen Artikel haben, damit um? Gibt es dort keinen gender pay gap und ähnliches? Grenzen wir Menschen genau damit aus, polarisieren wir? Immer wieder werden Gespräche unterbrochen oder Texte nicht weitergelesen, nur weil (vermeintlich) eine falsche Form verwendet wird. Interessiert das mehr als der Inhalt?

Sind wir nicht alle Menschen?

Wann sind wir soweit zu verstehen, dass

  • Menschen sich in Menschen verlieben.
  • Menschen verschiedenen Interessen von Fußball bis zum Tanzen nachgehen.
  • Menschen unterschiedliche Hautfarbe, Herkunft und Religion haben.
  • Menschen Kinder in ihrem Bauch tragen und es Menschen gibt, die das nicht können.
  • Menschen ...

Wenn wir auf ALLE Menschen den Artikel 1 Der Menschenrechte anwenden:

«Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Geschwisterlichkeit begegnen.»2

Könnten wir dann nicht mit unserer ewigen Bevormundung, was wer zu tun und zu lassen hat aufhören?

Müssten wir nicht aufhören, Menschen zu kategorisieren?

Hätten wir mit der Anwendung dieses einen Satzes nicht bereits absolute Gleichberechtigung?


1 Namen sind geändert.

2 Zitat aus den Menschenrechten, die Brüderlichkeit wurde durch Geschwisterlichkeit ersetzt.