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myHood – mal anders


21. Juni 2024

Normalerweise berichtet myHood über Neuigkeiten und Projekte in österreichischen evangelischen Gemeinden. Seit 10 Monaten lebe ich jedoch im Rahmen meines Erasmus-Austauschs in Nordengland, wo lutherische Gemeinden sehr rar sind. Daher widmet sich diese myHood-Ausgabe meiner vorübergehenden „Hood“, der Kathedrale von Durham, die gleichzeitig Bischofs-, Universitäts- und Tourismus-Kirche ist.

Vor meinem Umzug nach England hatte ich kaum Berührungspunkte mit der Anglikanischen Kirche – wie vermutlich viele von euch auch. Die Church of England ist – wie der Name schon sagt – auf ein bestimmtes Land beschränkt, während ihre Auslandsgemeinden der Diocese in Europe hauptsächlich in Großstädten zu finden sind.

Durham ist eine Stadt im Nordosten Englands mit etwas über 50.000 Einwohnern, also etwas kleiner als Dornbirn. Wenige kennen sie, da sie oft im Schatten ihrer Nachbarstadt Newcastle upon Tyne steht, die für Industrie und Fußball bekannt ist. Doch Durham hat eine bewegte Geschichte und war im Mittelalter eine der mächtigsten Städte Englands. Bis in die 1830er Jahre war der Bischof von Durham der einzige Prince Bishop des Landes, der sowohl kirchliche als auch weltliche Macht vereinte – vergleichbar mit den Fürsterzbischöfen Salzburgs. Noch heute bekleidet er das vierthöchste Bischofsamt der Church of England und war bei der Krönung von Charles III. involviert.

Die Kathedrale von Durham, begonnen 1093, wurde unter den Normannen in nur 40 Jahren erbaut. Sie ist ein Meisterwerk der normannischen Romanik und gehört heute, zusammen mit ihrem Klosterkomplex (dem einzigen vollständig erhaltenen in England) und der Burg, zum UNESCO Weltkulturerbe. Das zieht viele Tourist:innen an, was das tägliche Geschehen in der Kirche stark beeinflusst. Besucher:innenströme beleben das Museum, den Shop und das Café, auch während der Messen. Kirchliches Leben findet hier auf dem „Präsentierteller“ statt.

Während Kasualien wie Taufen und Hochzeiten selten sind, finden in der Kathedrale regelmäßig Konzerte, Aufführungen und Kunstprojekte statt. Sogar die Modenschau der Universität wird hier abgehalten. Die enge Verbindung zwischen der Universität von Durham und der Kathedrale besteht seit den 1830ern, als der letzte Prince Bishop die Uni gründete. Eröffnungs- und Schlussgottesdienste des akademischen Jahres sowie Graduationsfeiern finden hier statt. Sechs Priester:innen bieten Themenabende, Gesprächsrunden und Taufvorbereitungskurse an, um Studierende anzusprechen und spirituell zu begleiten.

Die kirchliche Landschaft in Durham ist vielfältig: Während die Kathedrale hochkirchlichen „Anglokatholizismus“ repräsentiert, bieten andere anglikanische Kirchen reformiertere bis evangelikale Gottesdienste an. Es gibt einige Freikirchen, methodistische und römisch-katholische Kirchen. Die Konfession steht jedoch nicht im Vordergrund. Während in Österreich oftmals davon ausgegangen wird, dass das Gegenüber ohnehin katholisch oder vielleicht protestantisch sei, wird hier meist ganz generell gefragt, ob man überhaupt Christ sei. Zu welcher Kirche man gehört, ist oft zweitrangig, besonders bei Begegnungen mit Mitgliedern der Church of England. Diese versteht sich als reformatorisch und gleichzeitig katholisch, steht jedoch in Fragen wie Frauenweihe und Homosexualität anders als Rom und pflegt Mahlsgemeinschaft mit vielen protestantischen und der Altkatholischen Kirche.

Durch die historische Verbindung von Krone und Staat mit der Staatskirche unterscheidet sich auch die Gemeindestruktur: Während Pfarrer:innen in Österreich für ihre evangelischen Gemeinde(n) zuständig sind, betreuen anglikanische Priester:innen (theoretisch) alle Bewohner:innen ihres Sprengels – unabhängig von deren konfessioneller oder gar religiöser Zugehörigkeit.

Manche Dinge, wie den sonntäglichen Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst, gibt es hier wie in jeder kleineren Gemeinde; das Besondere in der Kathedrale: Alles findet in einem größeren Maßstab statt und sich ehrenamtlich zu engagieren verlangt viel Aufmerksamkeit und gutes Timing. Belohnt wird man aber durch viele schöne Begegnungen mit regelmäßigen Gottesdienstbesucher:innen oder mit Tourist:innen aus aller Welt – zum Beispiel aus Österreich.