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Drei Generationen im Gespräch


31. Mai 2024

Wenn sich drei Generationen zusammen setzen und über viele Jahre in der Evangelischen Jugend sprechen, ist festzustellen, manches ändert sich nie, anderes ist faszinierend und unvorstellbar.

Zu Christi Himmelfahrt 2024 treffen sich drei Menschen, die alle von klein auf evangelisch sind, noch immer der Evangelischen Kirche in Österreich angehören und viel Zeit in ihrem Leben der Evangelischen Jugend gewidmet haben, beziehungsweise widmen. Anlässlich des 90-Jahr Jubiläums der EJ wollen sie sich in einem geführten Gespräch über ihre Erfahrungen austauschen.

Das Ambiente auf einer Terrasse in Wien, bei Kaffee, Tee, Keksen und herrlichem Wetter eignet sich perfekt für diesen Anlass.

Gleich zu Beginn stellen Erika, Michael und Darja fest, dass eine ihrer Gemeinsamkeiten die Burg Finstergrün ist und sogleich kommen sie ins Gespräch.

Alle drei gehören zu unterschiedlichen Pfarrgemeinden. Darja ist, seit sie denken kann, Mitglied der Diasporagemeinde Gallneukirchen. Nach der Verlegung ihres Wohnsitzes in die Phyrn Priel Region stellte sie einen Bleibeantrag, weil sie in der Gemeinde in zahlreichen Bereichen mitarbeitet sich dort heimisch fühlt. 
Michael hat in seinem Leben schon zu vielen Pfarrgemeinden gehört, und ist derzeit aktiv in Floridsdorf, auch als Gemeindevertreter. Aktuell ist er pädagogischer Leiter von Furies for Kids. Dabei handelt es sich um als Kuscheltier verkleidete Personen, die u. a. Kinderdörfer besuchen. 
Erika, seit ihrer Pensionierung in Hallein, bezeichnet sich selbst als jetzt auch in „kirchlicher Pension“, seit ein paar Jahren macht sie offiziell gar nichts mehr. Ihre letzten Aktivitäten waren beim Krabbelgottesdienst. Jetzt trifft sie sich noch regelmäßig in der Gemeinde mit anderen zum Frühstücken.

Sogleich sind sich alle einig: Gemeinde ist ein Netz, welches das Treffen bekannter Menschen und immer wieder Kontakt zu neuen Personen ermöglicht.

Michaels erster Kontakt mit der Kirche kam über den Kindergottesdienst, bei dem seine Mutter mitgemacht hat. Er besuchte einen Gemeindekindergarten und war in verschiedenen Kreisen aktiv.

Erika berichtet von einem bewusst evangelischen Vater, welcher aber kein Kirchenmensch war. Ihre katholische Mutter war seit der Hochzeit mit einem evangelischen Mann exkommuniziert. Mit der evangelischen Kirche als ersten, ihr in Erinnerung gebliebenen, Kontakt erzählt Erika von einem Reformationsfest im Turnsaal der Lutherschule. Die Kirche in Währing war noch vom Krieg beschädigt. Sie realisierte nicht was los war, verstand nur Waaaaaa. (Die Gemeinde sang „Ein Feste Burg“).

Ihr Religionsunterricht fand, wie der von Darja, meist am Nachmittag mit anderen Klassen gemeinsam statt. Erikas Klassenlehrerin hatte keine Ahnung vom „evangelisch sein“. Sie fragte z.B.: Habt ihr auch die Maria? Bezüglich dieser Unwissenheit über die Evangelischen dürfte sich laut den Erfahrungen von Michael und Darja nicht viel geändert haben. Beide berichten von Fällen, wo nicht bekannt war, das Evangelische getaufte Christen sind und anderen unangenehmen Erfahrungen, die eine Minderheitenreligion mit sich bringt.

Darjas Zugehörigkeitsgefühl entstand in der zweiten Klasse Volksschule, als ein zweites evangelisches Mädchen in ihre Klasse kam. Ansonsten ist sie in das evangelische Gemeindeleben hineingeboren. Als Enkelin eines Pfarrers und Kind einer sehr in der evangelischen Jugend aktiven Mutter war sie von Geburt an fast immer mit dabei. Sie kann sich nicht an einen bestimmten ersten Kontakt erinnern. So wird bis heute zu Hause vor dem Essen gebetet. Als sie allerdings in der Kirche Amen-Mahlzeit sagte, wurde sie von ihren großen Schwestern gemaßregelt, verstand aber nicht, warum. Sie findet es bis heute cool, wenn jemand sagt, ich bin evangelisch, dass gibt ein Gefühl der Verbundenheit.

Erika bekam Kontakt zur evangelischen Jugend, weil ihr empfohlen wurde zum Jungscharkreis zu gehen. Sie hatte damals Probleme mit ihren Mitschülern, und hoffte, dort angenommen zu werden.
Beim ersten Mal traute sie sich nicht hinein, beim zweiten Termin kam es zu einem Treffen mit einem weiteren neuen Mädchen, so schafften sie es gemeinsam. Dort schien ihr alles etwas fremd: Ein langer Tisch, jedes Mädchen mit einer Bibel – ein Relikt der Kriegszeit, da waren Treffen nur zur Bibelarbeit gestattet. Und sehr zur Belustigung aller am Tisch sitzenden erzählt sie weiter: „Als ich einmal zu spät gekommen bin, störte es mich nicht, denn zum anderen Programm war ich noch rechtzeitig.“ Also hatten die wohlerzogenen Kinder der „guten alten Zeit“ die gleichen Ideen und Gedanken wie die Jugend von heute. Damals gab es einen Trend nach Uniformen, Wimpel und Abzeichen. Erika packt eine ganze Menge an Ausweisen und Abzeichen aus, die sehr bestaunt werden. Sie war als Kind stolz, Wimpelträgerin zu sein. Einmal, noch in der Besatzungszeit, sind sie in einem Sternmarsch zum Heldenplatz zu einer Versammlung der Evangelischen Jugend marschiert. Die Zusammenkunft wurde von den Russen mit Musik gestört, weil diese es für eine politische Aktion hielten.

Bei allen dreien begann die selbstbestimmte Mitarbeit in der Jugend nach der Konfirmation. Alle lachen, als Darja erzählt: „Richtig Mitarbeiterin bin ich geworden, als eine Jüngere angefangen hat, mehr mitzuhelfen als ich und irgendwie niemand Älteres mehr da war, da hab ich gesagt, Na gut, dann mach ich‘s.“ Damit können sich alle identifizieren, denn dieses Argument scheint das gängigste bei den Ehrenamtlichen zu sein. Erika ist genau so in die Jugendarbeit hineingerutscht, bei einem Gustav Adolf Fest und Jungschartag, die damals gemeinsam abgehalten wurden. Bei ihr war es etwas anders, als keiner dafür da war, wurde zu ihr mit 15 Jahren gesagt, „dann mach`s“ – und sie machte. Michael geht es ähnlich, daher war er parallel in mehreren Bereichen tätig, weil oftmals niemand zu finden war. Nicht so schön finden alle, dass oftmals, das „Machen“ als selbstverständlich angesehen oder nicht bewusst wahrgenommen wird. Michael ging es mit den Gottesdiensten der Pfingstfreizeiten, die er gestaltete, so. Da wurde er einmal von einem anderen langjährigen Mitarbeiter gefragt, wer denn in all den Jahren immer die Gottesdienste gemacht habe.

Die Wertigkeit der Evangelischen Jugend in der Gesamtkirche hat sich über die Generationen gebessert, es besteht aber definitiv noch genügend Luft nach oben. Erika berichtet von der mangelnden Unterstützung in den Anfangszeiten durch ihre Pfarrgemeinde oder der Kirche. Für die Personen in der Jugend war es nicht leicht. In der Schellinggasse, der Zentrale der EJ, fand sie die Möglichkeit zum Austausch und Fortbildungen konnten über die Jugend absolviert werden. Als Gemeindeschwester in Villach war sie Hauptamtlich für die Jugend zuständig. Sie erzählt von einem Treffen auf Burg Finstergrün in den sechzigern. Dort erstellten Mitarbeitende aus ganz Österreich eine Ordnung für die EJ, die anschließend von der Kirche abgeschmettert wurde.

Darja fühlt sich von ihrer Pfarrgemeinde und der Jugend Oberösterreich gut unterstützt. Bei den Gremien meint sie derzeit noch zu den „Ja-Sagern“ bei den Abstimmungen zu gehören, weil sie noch nicht viel Erfahrung hat und da orientiert sie sich an den anderen.

Dass für alle die Veranstaltungen der evangelischen Jugend ein Ort sind, an dem sie anerkannt werden, so wie sie sind, ist an vielen Stellen im Gespräch zu Tage getreten. Alle nennen Beispiele von Ausgrenzung, Mobbing, Druck oder dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Manchmal war ihre Religion ein Grund dafür. Die Tatsache allein, evangelisch zu sein, war nicht nur nach dem Krieg schwierig. Heute werden zum Beispiel die Lutherbibeln durch die Klasse geschmissen, um das evangelische Kind zu ärgern. Michael kann den Kontrast des unterschiedlichen Umgangs mit Menschen in der Evangelischen Jugend und im weltlichen Leben anhand seines Beispiels als Kochlehrling festmachen: In der Küche war er ein Nichts und in der Jugend der Vorsitzende. Er fand es beeindruckend, wie bei Darja das über die Generationen gekommen ist, bei ihm ist das Zugehörigkeitsgefühl unter anderem über gesellschaftspolitische Aktionen, wie die Besetzung der Hainburger Au, das Lichtermeer gegen Rechts und vielen anderen gekommen. Sein Leben in der Evangelischen Jugend ist ganz stark geprägt von vielen sehr verantwortungsvollen Positionen und ständigem Weiterbilden. Fast alles, bis auf seine Tätigkeiten in Rechnitz und Gleisdorf war „Nebenamtlich“. Sehr große Teile seiner (Frei)zeit verbrachte er im Rahmen von Angeboten der EJ, scherzhaft fügt er hinzu: „In der Pfarrgemeinde hatte ich bereits einen zweiten Meldezettel.“

Auch, dass sich viele der sozialen Kontakte über das Gemeindeleben abspielen, hat sich über die Jahrzehnte nicht geändert. So meint Darja, dass sie sich darüber Gedanken machen musste, wie sie nach der Matura ihren Freundeskreis pflegt. Alle, die sie früher regelmäßig in der Gemeinde getroffen hat, sind jetzt in alle Winde zerstreut. Michael findet es wichtig, einen gemeinsamen Ort zum Austausch zu haben. In Donaustadt waren es in den 90ger Jahren zum Teil 90 Leute, die sich regelmäßig am Freitag zum Jugendclub getroffen hatten. Viele davon sind auf die Burgfeste mitgefahren. Bei Erikas Rückkehr nach Villach als Pfarrfrau meldeten sich viele Menschen wieder, die sie als Gemeindeschwester mehr als zehn Jahre zuvor in ihren Kreisen hatte. Diese animierten ihre eigenen Kinder zum Kinder- oder Jugendkreis oder zum Kindergottesdienst zu gehen und die Frau vom Pfarrer, diese anzubieten. Da sie als Pfarrfrau keinen Gremien angehören durfte, war außer dem Religionsunterricht, bei dem sie ihr Leben lang kirchlich bestellt war, seit ihrer Hochzeit alles ehrenamtlich.

Gerade Erikas Erzählungen aus der Vergangenheit finden alle sehr spannend. Michael stellt fest, da wäre es interessant, ein ganz eigenes Interview zu machen oder gar Memoiren zu schreiben. Erika meint, da gäbe es viele Personen, die ähnliches erlebt haben. Darja ist die Einzige unter den dreien, die derzeit keine Berufsausbildung im kirchlichen Bereich hat. Sie hat ihre Erfahrungen über Seminare, Fragen, Austausch, Reden, eigene Erlebnisse und Hinterfragen gesammelt. Neben ihrem Fulltimejob als Softwareentwicklerin spielt sich ihre ganze Freizeit im Bereich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Pfarrgemeinde aber auch überregional ab.

Erika machte in der Firma ihres Vaters eine Buchbinderlehre. Damals reichte eine fertige Berufsausbildung für den Besuch der Frauenschule. Die Matura fehlte ihr aber ihr ganzes Leben lang, denn die Bezahlung zwischen einer kirchlich bestellten und einer Vertragslehrerin war und ist sehr unterschiedlich. Als sie die Frauenschule besuchte, musste sie mit der Jugendarbeit aufhören. Noch während ihrer Ausbildung bekam die Frauenschule durch eine großzügige Spende der sehr engagierten und wohlhabenden Heimleiterin die Möglichkeit aus den Baracken auszuziehen und das Haus in der Severin Schreiber Gasse anzukaufen und zu adaptieren. Als Gemeindeschwester in Villach, Kirche im Stadtpark, arbeitete sie fünf Jahre, ja, bis sie sich in den Vikar verliebte und diesen heiratete.

Michaels Ausbildungen waren sehr zahlreich, nach seiner Lehre als Koch besuchte er bis 1995 die Sozialakademie, hat 2010 den Magister nachgeholt, dazwischen besuchte er die ERPA (Evangelisch Religionspädagogische Akademie) und machte die Diakonen Ausbildung in Waiern. Ebenfalls widmete er seine Zeit zahlreichen Funktionen in der Kirche und ist heute noch immer dabei. Darja ist an diesen Ausbildungen sehr interessiert, und erfährt, dass die Frauenschule in die ERPA und später in die KPH übergegangen ist, es aber heute kein Studium mehr gibt, wenn man nicht literarische Lehrkraft werden möchte. Alle finden es sehr schade, dass in Österreich außer dem Theologiestudium oder einem Masterlehrgang keinerlei Ausbildung zur Gemeindepädagogik mehr gibt.

So wie die Ausbildungen haben sich die Freizeitheime und Sommerfreizeiten im Laufe der Zeit geändert. Die Zeit, die die Kinder auf „Erholung“ geschickt werden, hat sich von drei bis vier Wochen auf ein paar Tage reduziert, ebenso hat sich die Anzahl der Heime, die im Besitz der EJ waren oder für Freizeiten zur Verfügung standen, verringert. Erika berichtet von Salzabad, Goisern, Gosau, Ramsau, Moosburg, Landskron, Zeltlager Steindorf (die Wiese am Ossiachersee war Eigentum der EJ), Bleiberg, Hinterbucholzerhütte (Mädchen), Stifterbodenhütte (Buben), Strobl am Wolfgangsee, Ranzenbach und natürlich der Burg Finstergrün, wo sie sich sehr gut an die Diskussionen über den Kauf erinnern kann. Sie selbst ist 1953 das erste Mal auf der Burg zur Erholung gewesen. Sie zeigt ein Blatt, ein Briefpapier der Burg Finstergrün, mit vielen Unterschriften von ihrem ersten Camp auf der Burg. Zu den Freizeiten gab es einen Sonderzug um Mitternacht nach Süden, den die Evangelische Jugend gemietet hatte, dabei war alles, was später Rang und Namen hatte – Konsens und Lachen: Sind wir nicht alle gleichwertig? Michael und Darja sind ganz fasziniert von der großen Anzahl. Darja berichtet über Freizeiten im Martin Luther Heim auf der Gis, dem Luise Wehrfenning Haus in Bad Gosiern, im Jugendhaus Steinöcker, der Waldheimat der Diakonie (da kann sogar sie berichten, dass dort keine Freizeiten mehr möglich sind), Kampesberg, Ebensee und am öftesten war sie auf der Burg Finstergrün. Da kann sich Michael anschließen, auch er war in erster Linie auf Burg Finstergrün, zum Beispiel als Freizeitleiter zu Pfingsten von 1992 bis 2009, mit großen ökumenischen Jugendgottesdiensten, von Burgfesten, die er 20 Mal mitorganisiert hat, von Mitarbeiterwerkstätten in Bad Goisern, von Gugging und Konfifreizeiten. Selbst war er nie Teilnehmender und schmunzelnd fügt er hinzu, und nie Burgvogt. Bewundert wurde er dafür von den beiden anderen für seinen unermüdlichen Einsatz.

Und zu guter Letzt die Frage: Was war ein einprägsames Erlebnis im Laufe deiner Zeit in der EJ?

Michael: „Für mich sehr einprägsam war die Ökumenische Jugendbewegung 2001 in Innsbruck. Zu Pfingsten trafen sich über 2000 Leute. Ich war in der Liturgiegruppe und hielt eine Dialogpredigt mit dem Katholischen Kollegen.“

Erika: „Puh, da war so viel, der Sonderzug, der Marsch zum Heldenplatz, die Jungschartage in Landskron, aber das hab ich schon alles erzählt, da war eine Zugfahrt zu einer Schifreizeit, da waren viele andere auch, von ganz verschiedenen Lagern, wir haben uns nicht gekannt aber wir haben die ganze Fahrt über gesungen.

Darja: „Das Computercamp 2014, das war nicht nur einprägsam sondern Lebensverändernd, da hat sich ein Freundeskreis gebildet, und die Freundschaften sind bis heute geblieben, wir treffen uns immer noch, besuchen uns zu Geburtstagsparties, Maturabällen, sehen uns auf der Burg bei den Computercamps, Burgfest oder treffen uns so, auch wenn wir aus ganz Österreich zusammengewürfelt sind.

Und das Resümee: Evangelische Jugend verbindet, ist lebensprägend und bleibt in Erinnerung.